Pressemitteilung vom 24.02.2023: Effektiver Herdenschutz ist verpflichtend und kein Hexenwerk

Im zweiten Interview der Serie zum Thema Koexistenz mit dem Wolf geht es um verschiedene Methoden effektiver bislang zu wenig genutzter Herdenschutzmaßnahmen im Hinblick auf die Nutztierhaltung. Der Inhaber des Wolfcenter Dörverden in Niedersachsen, Frank Fass, fordert pro-aktive Beratungen bei den Nutztierhaltern vor Ort von Tür zu Tür, um Erwerbs- wie auch Hobby-Tierhalter über die vorhandenen Finanzierungsmöglichkeiten von bestmöglichen Schutzmaßnahmen zu informieren und zu beraten. Die Fragen stellt Dr. Connie Voigt, Beraterin mit internationalem Medienbackground.

Voigt: Wir konnten im Januar wiederholt Berichte in den Medien über das Pony von EU-Präsidentin von der Leyen lesen das von einem Wolf gerissen wurde. Offenbar gab es einiges Medieninteresse an den Debatten und Entscheidungsverläufen über eine Abschusserlaubnis des Wolfes. Wie lässt sich dieses mediale Interesse erklären? Und kann sich ein Pony nicht mit Hufschlag gegen einen Wolf wehren?

Fass: Wir unterscheiden bei der Nutztierhaltung zwischen den vier Nutztierkategorien Schafe und Ziegen, in Gehegen lebendes Wild – meistens Damwild-, Rinder und viertens je nach Stockmaß Pferde und Ponys. Bei jedem dieser vier Typen stellt sich die Frage nach der eigenen Wehrhaftigkeit. Ich glaube es ist leicht nachvollziehbar, dass Schafe und Ziegen einer Wolfsattacke unterlegen sind, zudem sind sie nicht schnell genug, um davon zu rennen. Damwild wäre durchaus schnell genug, um zu entkommen aber nicht, wenn in einem Gehege eingezäunt. Bei den auf der Weide stehenden Rindern der Mutterkuhhaltung und der Milchkuhhaltung sind letztere züchterisch auf Führigkeit und in gewisser Weise auf Wehrlosigkeit gezüchtet, um sie als Milchlieferanten leichter managen zu können. Dem gegenüber stehen Unterscheidungen bei Mutterkühen, die je nach ihrer jeweiligen Rasse im Verbund miteinander durchaus wehrhaft sein können. Aber hier macht natürlich auch die Altersklasse einen Unterschied. Unterschiede gibt es auch bei Pferden. Je nach Größe, Rasse und Temperament wäre ein ausgewachsenes Pferd eventuell in der Lage sich gegen einen Wolf zu wehren, ein Shetlandpony hingegen hat keine Chance. Diese variierende Wehrhaftigkeit ist beim Thema Herdenschutz unbedingt zu beachten. Ich wünsche mir aufgrund dieser zahlreichen Abweichungen eine differenziertere Betrachtung in den Diskussionen und Entscheidungen im Umgang mit Wölfen.

Was bedeutet eine differenzierte Betrachtung in Bezug auf angewandte Maßnahmen im Herdenschutz?

Alle Schaf-, Ziegen- und Gehegewildhalter in Niedersachsen, egal ob auf Hobbybasis oder gewerblich motiviert, bekommen verschieden definierte Zäune hinsichtlich der Zaunmaterialien finanziell bezuschusst, um den wolfsabweisenden Schutz zu errichten. Das gilt bis heute für die Pferde- und Rinderhalter aber ohne weiteres nicht. Allerdings gilt, derjenige Pferde- oder Rinderhalter, der einen nachweislichen Wolfsübergriff zu beklagen hat, kann dann Präventionsmaßnahmen für den Zaunbau beantragen und dafür die Materialkosten bezuschussen lassen. Tierhalter von Schafen, Ziegen, Gehegewild, Pferden oder Rindern können für den Zaunbau bis zu 30.000 Euro pro Jahr erhalten. Die Frage ist aber auch ob wir die Landesregierung dafür gewinnen, dass man grundsätzlich im Bereich der Milchviehhaltung für Hof-nahe Zäune in direkter Nähe zum Hofviehstall finanzielle Unterstützung beantragen kann – ebenso für die Mutterkuhhaltung in der extensiven Weidehaltung. Die andere vulnerable Gruppe bei den Rindern sind die älteren Kälber und Färsen die häufig Hof-abseits stehen. Die können weiter in Gefahr sein, wenn nicht die Landesregierung die Aufgabe übernimmt neben meiner vorgeschlagenen Beratung auch konkret auf finanzielle Mittel hinzuweisen bzw. auch mehr Mittel zu lockern. Herdenschutzmaßnahmenberatung ist das Schlüsselwort und mit erfolgreicher, systematischer Beratung würde der politische Druck aus dem Thema verschwinden – es sei denn man will den Druck … Ich bin sehr für diese Förderung in der Zukunft. Zudem ergibt sich noch die Frage, ob man bei Pferdehaltern – egal ob gewerbliche oder Hobbyhalter – je nach Pferderasse ähnlich entscheidet. Ich meine, dass Halter von wehrlosen Kleinponys ebenfalls grundsätzlich Unterstützung beantragen können sollten.

Wie sieht die Unterstützung bei wiederholten Übergriffen in der Nachbarschaft aus, von denen wir auch oft lesen?

Mit Blick auf die Pferde- und Rinderhaltung können Nutztierhalter nur dann finanziell beim Zaunbau und in der Anschaffung von Herdenschutzhunden präventiv bezuschusst werden, wenn es im eignen Umkreis von 30 km in den letzten 12 Monaten mindestens 3 nachgewiesene Übergriffe durch Wölfe auf Pferde oder Rinder gab, wobei es drei Rinder bzw. drei Pferde gewesen sein müssen – Pferde- und Rinderhalter werden also voneinander getrennt beurteilt.

Im empfehle dringend allen Nutztierhaltern davon Gebrauch zu machen. Wenn man solide Festzäune aufstellt für Pferde und Rinder dann erfordert das einen Traktoreinsatz mit einer Ramme, die dicke Zaumpfosten in die Erde rammt. Der Maschinen- und Personaleinsatz wird in Niedersachsen jedoch nicht unterstützt, aber wenn ich doch bis zu 30.000 Euro Materialkosten unter Vorbehalt einer Plausibilitätsprüfung erhalten kann, dann würde ich als verantwortungsvoller Nutztierbesitzer davon Gebrauch machen, um meine Tiere zu schützen und künftige Wolfsangriffe deutlich zu minimieren. Berufsschäfer haben die Brisanz der Situation erkannt: sie fordern auch die Finanzierung von Zaunerrichtungseinsätzen und die stete Bezuschussung für den regulär nun höheren Arbeitsaufwand durch mehr Personaleinsatz. Völlig nachvollziehbar finde ich übrigens auch, dass diejenigen gewerblichen Nutztierhalter, die Herdenschutzhunde im Einsatz haben, die hochanteilige Bezuschussung von Hundefutterkosten von der Politik fordern, denn das ist der Hauptkostentreiber bezgl. solcher Hunde – jeden Tag.

Das klingt ja alles plausibel und logisch von behördlicher Seite durchdacht – weshalb ist dann weiterhin von Wolfsübergriffen auf Nutztiere zu hören?

Meiner Meinung nach haben wir ein großes Defizit in der Kommunikation über die potenziellen Gefahren festzustellen. Deshalb fordere ich, dass wir offiziell bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen mindestens zehn Personen vollberuflich mit neuen Arbeitsplätzen einsetzen, die als kompetente geschulte aktive Berater für die Nutztierhalterschaft in allen vier Nutztierkategorien von Hof zu Hof, von Haustür zu Haustür ziehen. Das alles pro Gemeinde, pro Landkreis, pro kreisfreie Stadt, um die Art und Weise des Zaunbaus anzuschauen und der Frage nachzugehen, sind die Zäune wolfsabweisend – ja oder nein. Die Nutztierhalter müssen dringend gezielter darüber informiert werden, dass in ihrer Umgebung eventuell Wölfe leben – oder vielleicht mit der wachsenden Wolfspopulation mit Wahrscheinlichkeit leben werden. Deshalb ist der Check der Beschaffenheit der Zäune ausnahmslos für alle Halter so wichtig.

Seit wann und wie definiert man wolfsabweisenden Schutz?

In der wolfsfreien Zeit waren Nutztierhalter aus versicherungstechnischen Gründen immer schon dazu verpflichtet ihre Nutztiere hütesicher einzufrieden. Es ging primär darum sicherzustellen, dass Tiere die Weide, die Pferdekoppel oder den Deich nicht verlassen und unter Umständen z.B. auf die Bundesstraßen oder Autobahnen gelangen und damit folgenreiche schwere Unfälle produzieren. Also, Hütesicherheit war immer schon verpflichtend. Aber mit der Rückkehr der Wölfe in der Region ist der Nutztierhalter auch dazu verpflichtet sich darüber Gedanken zu machen, wie er Wölfe davon abhält auf Weiden oder in Wildgehege zu kommen. Das nennt man den „Wolfsabweisenden Schutz herstellen“. Das Land Niedersachsen unterscheidet dabei folgerichtig vom „wolfsabweisenden Grundschutz“ und vom „zumutbaren Herdenschutz“ als maximal geforderten Schutz. Diese differenzierte Betrachtungsweise hat sich scheinbar bis heute bei etlichen Nutztierhaltern noch nicht festgesetzt.

Welche wolfsabweisende Methode empfiehlt sich für welche Tierart am besten?

Wir unterscheiden grundsätzlich zwischen dem fest eingebauten Zaun wie in der Rinder- und Pferdehaltung und dem mobilen Zaun. Mobile Zäune machen bei der Haltung von Schafen und Ziegen Sinn um gezielt wechselnd abgrasen zu lassen sowie auch geschützte Landschaften wie Moore Heidelandschaften zu erhalten. Somit werden mobile Zäune tageweise umgesetzt. Häufig werden hier Elektronetzzäune angewendet. Davon abgesehen lassen sich die größten Nutztierflächenanteile Niedersachsens leicht einzäunen, und dafür brauchen wir wie schon gesagt mehr aktive Beratung, um die Nutztierhalter zu unterstützen. Bei der Hobby-Schafhaltung kann ich oft keine gesicherte Einzäunung feststellen. Die kommerziellen Schafhalter wissen häufig hingegen was zu tun ist.

Gibt es noch andere wolfsabweisende Optionen außer der Anbringung von Zäunen?

Wir wissen, dass alle Wölfe begnadete Zaununtergraber sind und dies vom Naturell deutlich ausgeprägter tun als über Zäune zu springen, die meisten Wölfe trauen sich nämlich nicht Zäune zu überwinden – das ist wichtig zu wissen! Das heißt wir müssen sehen wie wir einen Zaun-Untergrabeschutz bei sämtlichen Festzäunen etablieren oder nachrüsten. Dafür gibt es seitens der Länder verschiedene technische Definitionen, die finanziell gefördert werden können. Es gibt allerdings eine gute weitere Möglichkeit: die Steckbügel-Methode. Steckbügel kann man von einer Metallbauschlosserei einfach anfertigen lassen. Das ist zu einem U geformter Bewehrungsstahl der ein bestimmtes Längen- und Breitenmaß aufweisen muss und dann an der Unterkante des vorhandenen senkrechten überirdischen Zauns mit Minibagger ins Erdreich gedrückt wird.  Nachträglich kann man dadurch ein Gitter Stück für Stück im Erdreich installieren. Ich frage mich warum diese Methode immer noch nicht in Niedersachsen gefördert wird, andere Bundesländer probieren sich daran aus und fördern sie mittlerweile. Es sind noch nicht mal mehr Kosten damit verbunden. Administrativ muss in der „Richtlinie Wolf“ aber erst mal dieser neue Untergrabetyp neu beschrieben sein. Im Übrigen könnte die Steckbügel-Methode zusätzlich auch die Deiche abschnittsweise schützen. Auch die Vielzahl der Wildgehege kann man leicht damit nachrüsten sowie Festeinzäunungen von Schafen und Ziegen. Ich wundere mich zutiefst, dass das flächenmäßig zweitgrößte Bundesland, nämlich Niedersachsen noch nicht auf diese Lösung gekommen ist.